< jottwee.de | Sprache - Schrift - Musik | Leben im Rhythmus |
absperrbock

abholen & mitnehmen

23 | 03 | 2011
Da sind sie wieder, die Tage an denen wir angespannt die Haustür im Auge behalten. War da nicht eben ein Scharren auf dem Fußabstreifer? Ein trockenes Keuchen draußen im Treppenhaus? Steht da statt Wachtturmdame und Staubsaugervertreter vielleicht ein Ortsbeiratskandidat vorm Briefkastenschlitz und will über Auheim und die Welt sprechen?
Es ist Wahlzeit und dem Volke wird mit aller Macht gezeigt, daß alle Macht vom Volke ausgeht. Die Kandidaten sorgen sich derzeit ganz besonders um das Wohl Aller und da muß der brave Bürger auch mit Allem rechnen. Nicht nur mit Gratis-Kugelschreibern und eingetüteten Gummibärchen. Zeigen wir Mitleid: die von uns Erwählten haben's auch nicht leicht. Immer häufiger erheben die Menschen "draußen im Lande" ihre Stimme. Sie grummeln und motzen über Entscheidungen, die ihnen nicht passen.
Clevere politische Entscheider fahren daher mehr und mehr auf "Bürgerbeteiligung" ab. Allerdings hapert es hier und da noch ein wenig an tiefer Verinnerlichung. So hört man immer noch Sätze frustrierter Politiker wie: "Wir konnten den Bürgern das Projekt nicht nahebringen".  Was nichts anderes bedeutet als: die blöden Leute haben's nicht kapiert.
Inzwischen wird rhetorisch nachgebessert. Der gewiefte Polit-Profi von heute bringt ständig neue im Crashkurs für Basisdemokratie erlernten Zauber-Phrasen unters Volk. Der Hit unter den aktuellen Sprechblasen: "Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie sind!" Doch wo stecken diese Menschen alle? Draußen vor der Tür? Zuhause vor der Glotze? Zurückgeblieben am Ende der Karawane?
Der Bürger. Brav, still und fügsam. Er wartet, steht herum wie bestellt und nicht abgeholt. Irgendwann kommen Stadträte, Abgeordnete oder Minister herab, nehmen ihn an der Hand und führen ihn durch finsteren Wald ins helle Licht. Dabei murmeln sie mit ruhiger Stimme einfache Erklärungen zu Laufzeitverlängerungen, Tiefbahnhöfen und Wettbewerblichen Dialogen. Da macht sich im so geführten Bürger doch ein warmes Gefühl der Geborgenheit breit, oder?
Aber in der kalten Realität des Alltags ist das "Abgeholt werden" zwiespältig besetzt. Bereits im Kindergarten sind die Kleinen, die von Mutti abgeholt werden, voll die Loser. Cool sind doch nur die Knirpse, die sich tapfer, frei und alleine auf den Nachhauseweg machen. Ganz schlimm: der Nachwuchs mit den Bindestrich-Vornamen, der "aus dem Kinderparadies" abgeholt werden möchte. Früher wurde man noch aus dem Garten Eden vertrieben, heute schleicht man sich freiwillig. Was ist von solcher Nachkommenschaft zu erwarten? Oh, welche Zeiten, welche Sitten!

Da heißt es Gegensteuern. Warten wir nicht, bis wir Irgendwann von Irgendwem nach Irgendwohin abgeholt werden. Lassen wir unsere Volksvertreter die Arbeit nicht alleine machen. Sagen wir unsere Meinung, entschieden, aber fair. Es gibt so viele Möglichkeiten, den Weg zu einer direkteren Demokratie mitzugestalten. Das kann natürlich das Engagement in einer politischen Partei sein. Aber auch die aktive Teilnahme an traditioneller Vereinsarbeit, die Übernahme eines Ehrenamtes und das Mitmachen bei offenen Initiativen bringt die Sache weiter. Die Frage ist: wollen wir das überhaupt - Bürgerbeteiligung, Volksabstimmung? So was macht Arbeit und oft fehlt die Erfahrung. Aber stellen wir uns doch nur mal vor: allmonatlich Sonntag, 12 Uhr, träfen sich alle wahlberechtigten GroßauheimerInnen auf dem Rochusplatz zur Volksabstimmung über lokalpolitische Themen. (Fußkranke würden selbstverständlich vom kommunalen Fahrdienst abgeholt.) Wäre das nix? Übrigens: zum Großauheimer Irminratsmarkt wird niemand abgeholt. Da kommen die Leute freiwillig!

=> zurück zur auswahl

www.jottwee.de lokalamitäten. großauheimer kolumnen.